Sonntag, 10. Juli 2016

Der Stier, der Mann und der Tod

Eine Arena in Spanien.
Ein wie eine Puppe ausstaffierte Mann tänzelt um einen tonnenschweren Stier. Die Muskeln des Tieres zeichnen sich detailliert unter dem glänzenden Fell ab, seine Augen rollen in Panik und scheinen fast aus den Höhlen zu treten, Schaumfetzen um sein Maul. Das Tier ist wütend. Verängstigt. Verzweifelt. Es gibt keinen Ausweg. Keine Chance zur Flucht. Ist auch nicht seine Art. Er ist ein schönes Tier.
In seinem Körper stecken Spieße welche mit bunten Fähnchen geschmückt sind. Der Schmerz durchzuckt das Tier, warmes Blut benetzt seine Flanken.
Der Mann tänzelt und posiert für das tobenden Publikum. Die Masse tobt. Sie will den Stier tot sehen. Der Lärm irritiert den Stier noch mehr, seine Verzweiflung und seine Wut steigern sich ins Unermessliche.
Gierige Augen saugen die Szene in sich auf, es herrscht Volkfeststimmung.
Der stolzierende Mann, der sich wie ein Pfau spreizt, ist einen Moment unachtsam. Der Stier nicht. Er rammt eines seiner spitzen Hörner in den Mann, in den Oberkörper, mitten ins Herz. Er wirbelt den Körper des Mann durch die Luft als sei dieser eine Puppe.
Ein kollektiver Entsetzensschrei von den Arenarängen.
Berittene Männer, genauso ausstaffiert wie der Stierkämpfer, lenken den Stier ab, der am Boden liegende Mann wird von Helfern auf eine Trage gepackt und im Laufschritt aus der Arena getragen.

Schnitt.
Beide sind tot. Der Mann und der Stier. Letztere wurde zum Metzger gefahren. Er hatte nie eine Chance.

Schnitt.
Social Media.
Ein anderer Kampf. Eine andere Arena. Das World Wide Web. Social (asoziales?) Media.
Ein Teil des Publikums - vor den Bildschirmen - feiert den Tod des Mannes. Feiert den Stier. Dem es nichts mehr nützt. Er endet als Steak oder Hundefutter, ich weiß es nicht.
Aber sie feiern ein Tier, dass seinen Quäler getötet hat.
Der andere Teil des Publikum versteht die Welt nicht mehr. Wie kann man nur den Tod eines Menschen feiern?
Sie mokieren sch über die Wut und teilweise blinden Hass. Und wählen dabei Worte die denen der Stierfans in nichts nachstehen.
Es gibt noch einen dritten Teil. Der beobachtet, versucht sachlich die Situation zu analysieren.
Ich erwische mich dabei, dass ich im ersten Moment, als ich die Nachricht las, dachte:
Guter Junge. Damit meine ich den Stier. Dann schäme ich mich. Aber der Gedanke ist gedacht. Ich bin auf der Seite des Stieres. Und bleibe da auch. Ich bin gegen Tierkämpfe. Aber ich mag mich nicht an dem Tod eines Menschen erfreuen. Niemals.

Schnitt.
Mittelmeer.
Ein Schlauchboot. Voll mit verängstigten, verzweifelten Menschen. Kinder, Frauen Männer. Schwer unterdrückte Panik. Sie haben keine Chance.

Schnitt.
Der Innenminister der BRD verkündet rückgängige Flüchtlingszahlen. Und strahlt in die Kamera. Die Bürger sollen sich sicher sein, dass sie sicher sind.
Die Menschen verstehen und schweigen. Nur vereinzelte Stimmen des Protests wegen der geschlossenen Grenzen Europas und der Schuld.

Schnitt.
Mittelmeer.
Kein Schlauchboot.

Der Stier, der Mann und der Tod.


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